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Schifffahrt setzt Hoffnung auf Neubau-Stornierungen

1.12.2008 | HANSA International Maritime Journal

Nach Euphorie nun Katzenjammer: Neubauschwemme in der Finanzkrise

Von Jürgen Dobert

 

Die Schifffahrtsmärkte sind geprägt von zunehmender Nervosität. Die Auswirkungen der Bankenkrise machen sich immer deutlicher bemerkbar. Dabei ist der aktive Teil der Seeschifffahrt mit den Auswirkungen der  Finanzmarktturbulenzen bisher noch ganz gut zurecht gekommen. Sieht man von der wachsenden Zahl der beschäftigungslos vor Anker oder an Pfählen liegenden Containerfrachtern (Anfang Dezember 115 Schiffe) und mehreren hundert Bulkcarriern ab, ist die fahrende Flotte trotz teilweise empfindlicher Ladungsrückgänge überwiegend gut beschäftigt und fährt vielfach auch noch Gewinne ein. Immerhin - wenn auch die Prognosen für die weitere Entwicklung nichts Gutes verheißen.

 

Bedrohlich wirkt dagegen in Zeiten einer globalen Kreditklemme die Flut der nachrückenden Schiffsneubauten. Die Last der Auftragsbücher ist erdrückend, die mangelnde Kreditbereitschaft der Banken breitet sich lähmend auf immer mehr Bauverträge aus. Manager der Banken wie auch der Reedereien sehen große Probleme bei der Realisierung eines großen Teils der Projekte auf sich zukommen. Denn bei plötzlich rezessiver Entwicklung steht den Akteuren weltweit ein Neubauvolumen gegenüber, das 50 Prozent der aktuell fahrenden Containerschiffsflotte entspricht. Die Flotte der Massengutfrachter würde durch Ablieferung aller Neubaubestellungen bis 2011 sogar um mehr als 60 Prozent anschwellen – Verschrottungen der Hälfte aller Schiffe mit einem Lebensalter von 25 Jahren vorausgesetzt. Bei den großen Bulkern über 80.000 Tonnen Tragfähigkeit kündigt sich sogar mehr als eine Verdoppelung der Flotte an.

 

Von den negativen Folgen der Bankenkrise ist diese Masse an Aufträgen in sehr unterschiedlicher Form betroffen. Bei genauerer Differenzierung lassen sie sich in fünf Gruppen einteilen:

 

·        Als relativ gesichert gelten Neubauverträge mit wirklich potenten Partnern und einer festen Finanzierungszusage einer Bank. Wenn dann auch die anschließende Beschäftigung des Schiffes gesichert ist – um so besser. Denn die Beschäftigung respektive Charter scheint derzeit das A und O einer gesicherten Schiffsfinanzierung zu sein.

 

·        Reeder mit fester Kreditzusage einer Bank für die Bauzeit- und Endfinanzierung müssen allerdings darum bangen, dass ihnen die Bank die zugesagten Baupreisraten bzw. die Endfinanzierung auch auszahlt, wenn sie nicht rechtzeitig eine kostendeckende Beschäftigung oder Charter für einen Mindestzeitraum nachweisen können. Das kann durchaus schon 18 Monate vor Ablieferung sein, wenn die zweite Baurate an die Werft fällig wird. Eine Bedingung, die heute kaum zu erfüllen sein dürfte. Denn die Baupreise waren hoch und die heutigen Chartern sind niedrig. Die Bank wird vom Auftraggeber als Ausgleich entsprechende Sicherheiten und Garantien verlangen. Sie kann sich auch zufrieden geben, wenn eine zwar nicht kostendeckende Charter vorgelegt wird, dafür aber der Saldo vom Auftraggeber persönlich abgedeckt bzw. garantiert wird.

 

·        In der Klemme sitzen all jene Reeder, die es versäumt haben, sich rechtzeitig eine feste Kreditzusage geben zu lassen. In der glänzenden Ära vor „Subprime“ war es üblich, dass Banker ihren Geschäftsfreunden die Kreditzusage „auf Zuruf“ am Telefon erteilten. Mancher Reeder begnügte sich damit auch längerfristig - um Bereitstellungsgebühren zu sparen.

 

·        Tief in der Patsche sitzen vielfach aber auch die Banken. Gerade bei den Neubauten, die 2009 / 2010 zur Auslieferung kommen und vor Sommer 2007 bestellt worden sind. In der Hype-Phase drängelten sich nicht nur die Reeder um Bauplätze bei den Werften in aller Welt, sondern auch Banker um die Gunst, die Reeder mit ihren Krediten „begleiten“ zu dürfen. Dabei warfen viele Geldinstitute alle Vorsichtsregeln über Bord, versprachen viel und begnügten sich mit weniger “harten“ Sicherheiten. Die Folge: Sie ließen sich nicht nur zur Bauzeit- und Endfinanzierung der Schiffe verpflichten, sondern schossen dem Reeder obendrein sogar das  Eigenkapital vor. Meist in der Überzeugung, dass der Kunde sich dieses Eigenkapital rasch und problemlos von Privatanlegern besorgen würde – zum Beispiel über deutsche Emissionshäuser bzw. Fonds-KGs. Eine 100-Prozent- Fremdfinanzierung also, die Risiken vergessen ließ und zu Leichtsinn verleitete, wie sich heute zeigt. Bei diesen Neubauaufträgen gilt: Kann der Reeder oder das Emissionshaus nicht bezahlen, bleibt die Bank auf dem Bauprojekt sitzen und muss es anstelle des Reeders durchziehen.

 

·        Vor erheblichen Schwierigkeiten dürften jüngere Neubauaufträge mit hohen Einkaufspreisen und späten Lieferzeiten stehen, sowie jene mit eher konventionellen „Bankbegleitungen“, sofern sie nicht von bonitätsstarken Partnern und „sicheren“ Charterern gedeckt sind. Das Gefälle zwischen hype-hohen Baupreisen und inzwischen abgestürzten Charterraten droht ihnen zum Verhängnis zu werden. Das gilt erst recht für Aufträge ohne Kreditzusage einer Bank, bei denen der Reeder das Interesse verliert, seine Verträge durchzuziehen.

 

Auf diesen Wackelkandidaten ruhen aber auch viele Hoffnungen der Branche: Hier erhofft man sich die größte Anzahl an Stornierungen. Und viele hat es auch schon erwischt. So ist von mehreren hundert Schiffen die Rede, die in großer Zahl insbesondere bei den so genannten „Greenfield Yards“ (vor allem in China) gecancelt worden seien. Zumal manche dieser erst im Bau oder in der Planung befindlichen Werften dem Vernehmen nach mangels Finanzierung und mangels sattelfester Aufträge nicht mehr gebaut werden.

 

Der größte Teil von Annulierungen dürfte aus „leichtgewichtigen“ Aufträgen resultieren, von denen man sich ohne großen Aufwand zurückziehen konnte: Jene mit Vorbehalt, bei denen die erste Anzahlung noch nicht erfolgt war, die Werft ihre Refundment-Garantien noch nicht beigebracht hatte, bei denen die Bauverträge zwar unterschrieben, jedoch noch nicht wirksam geworden waren. Ferner können Optionen und Letter of Intents zur Gruppe der Stornos zählen. Deshalb sollte nicht übersehen werden, dass zahlreiche dieser Orders zwar in Nachrichten-Diensten, jedoch in den bekannten offiziellen Statistiken noch gar nicht Platz gefunden hatten.

 

Zu beachten ist bei allen Orders, dass es sich meistens um Serienaufträge handelt. „Wackelt“ das eine, als nächstes fertigzustellende Schiff, ist der Rest der Serie ebenfalls betroffen. Anders ausgedrückt: Es erhebt sich die Frage, ob es sich für den Auftraggeber resp. die Bank überhaupt „lohnt“, den akuten Fall durchzuziehen, wenn nicht gleich eine Lösung für die Folgeschiffe gefunden wird.

 
Die Folgen: Stornierungen, Flucht oder Verhandlungen
 

Da es im Weltmarkt (ausgenommen z.B. Deutschland) üblich ist, einen Schiffsneubau in Raten gemäß Baufortschritt anzubezahlen, haben die Auftraggeber / Banken bereits bei Wirksamwerden des Bauvertrages erste Anzahlungen geleistet (10 oder 20 %). Als übliche Regel gilt: 5 Raten zu je 20 Prozent bis zur Ablieferung. Deutsche Werften mit ihren höheren Preisen, dafür aber schnelleren Lieferzeiten, gewähren den Kunden gern auch ganz niedrige Anzahlungen und finanzieren den Schiffsbau im übrigen auf eigene Kosten bzw. auf eigenen Bankkredit vor.

 

Daraus folgt: Wer jetzt im abstürzenden Markt erkennt, dass er zu teuer eingekauft hat und im aktuellen Markt auf keine Kostendeckung kommen wird, würde sich vom Neubauauftrag am liebsten zurückziehen. Täte er das, verlöre er außer seinem Ruf wegen Vertragsbruchs allerdings auch sein bereits eingesetztes Geld.

 

Wer nicht die Nerven, die Geduld und insbesondere das erforderliche Vermögen hat, auf die Rückkehr eines boomenden Marktes zu hoffen und abzuwarten, dem wird kaum anderes übrig bleiben, als den Ausstieg vorzubereiten.

 

Eben an diesem Punkt sind viele Marktteilnehmer derzeit angekommen. Was heißt das konkret?

 

1. Banken üben Druck auf den Auftraggeber aus, damit dieser seinen Anteil Eigenkapital - je nach Vertrag mindestens 20 Prozent - beibringt oder zumindest nachweist. Sie verlangen frühzeitig eine sichere und auskömmliche Beschäftigung. Dieser Druck aber könnte bei jenen Kunden wirkungslos verpuffen, denen die Bank die Baupreisraten vorfinanziert hat, die vielleicht nur eine mittellose Ein-Schiffs-Gesellschaft als Käufer vorgeschickt haben und die sich angesichts ihres Gesamt-Auftragsbestandes schlicht verhoben haben, also daran pleite gehen würden. Frühere Krisen haben gezeigt, dass Banken nicht unbedingt das Interesse haben, solche Reeder in die Insolvenz zu schicken, wenn sie sich selbst damit mehr schaden als nützen. Die kaufmännische wie auch juristische Abwägung also wird ergeben, ob die Bank das Seil, an dem das Fallbeil hängt, kappt oder nicht.

 

2. Reeder, die bereits Anzahlungen geleistet haben und zu ihren Verträgen dem Grunde nach stehen, riskieren bei Vertragsbruch, ihren Einsatz zu verlieren. Das Schiff sind sie dann – wie gewünscht  – los, aber leider auch ihr Geld. Dasselbe gilt im Falle des Rückzugs für die Banken, die ihre Refundment-Garantien zur Absicherung der geleisteten Anzahlungen verlören. Für die Werft bedeutet ein solcher Vertragsbruch, dass sie die Anzahlungen behalten und den Schiffsneubau - entsprechend billiger - im freien Markt zum Verkauf anbieten darf. Fragt sich, ob die Werft bei heutiger Marktlage überhaupt einen Käufer findet, wenn sie ihren Neubau zu 80 Prozent des alten Wertes verkaufen möchte. Vermutlich nicht.

 

3. Branchen-Insider berichten, dass derzeit bereits Scharen von Managern, Beratern und Juristen deutscher Reedereien nach Asien jetten, um mit den Werften zu verhandeln. Sie wollen den Preisnachlass, bitten um Stundung oder Kompromisslösungen und drohen damit, anderenfalls ganz auszusteigen. 

 

4. Auftraggeber ohne Kreditzusage und ohne ausreichend Eigenkapital lassen ihre Bauverträge fallen.

 

5. Gleichzeitig ist aus Schiffsmakler-Kreisen zu hören, der An- und Verkaufsmarkt sei so gut wie tot. Nichts rühre sich. Andererseits würden Reeder jedoch Neubauten bzw. Bauverträge im Markt anbieten. Mit Preisvorstellungen, die 10 – 20 Prozent unter dem letzten „Marktpreis“ lägen. Doch kein Käufer greife zu. Allgemeines Desinteresse. Schlussfolgerung: Preise um 90 – 80 Prozent der alten Marktwerte beurteilt der Markt heute als zu hoch. Es fehlt die neue Benchmark. Keiner kennt vorläufig den echten Wert dieser Schiffe – und fürchtet sich als Verkäufer, ihn auszutesten, weil ihm dann Geld verloren geht. Auch Banken haben Grund, den Preis-Test zu fürchten. Sie dürften froh sein, die Illusion hoher, alter Marktwerte hoch halten zu können, um nach den Immobilien- nun nicht auch noch Schiffskredite abwerten zu müssen.

 

Wo also liegen die Neubaupreise heute wirklich? Bei 70 Prozent, oder „maximal 50 Prozent“, wie ein Hamburger Reeder spekuliert? Das wird sich erst zeigen, sobald der Erste gezwungen wird, aufzugeben und die Flügel zu strecken.

 

Ein weiterer Aspekt bezüglich realer Neubaupreise gilt auch für den eingeschlafenen Handel mit  Secondhand-Tonnage: Selbst wenn sich Käufer für ein Schiff interessieren, mangelt es an der Realisierbarkeit. Weil der Käufer wegen der globalen Kreditklemme schwerlich eine Bank findet, die ihm den Ankauf finanzieren hilft. Kaufen können somit eigentlich nur noch solche Reeder und Investoren, die Cash zahlen können. Doch die wissen um ihre Macht – und halten ihr Pulver derzeit noch trocken - für spätere, billigere Gelegenheiten.      

 

241 Massengutfrachter storniert


Woche für Woche vermelden die Makler in ihren Marktreports "No activity on the Sale and Purchase Market". Umso mehr aber ist der Markt voll von Gerüchten über Cancellierungen von Neubauaufträgen, Nachverhandlungen in alle Richtungen wie Preisnachlass, Stornierung, Umwandlung in einen anderen Schiffstyp und Aufschub der Lieferfrist in ein späteres Jahr. Von etlichen, auch namhaften deutschen Reedereien und Emissionshäusern ist die Rede, die bei den Werften mit entsprechenden Wünschen vorstellig geworden sind, doch vor allem die Koreaner zeigen sich sehr zugeknöpft. Insbesondere über Großcontainerschiffe, die noch keine Charter haben, wird gerätselt, wie die Auftraggeber aus der Klemme kommen wollen.

Am Konkretesten werden Zahlen über erfolgte Cancellierungen aus dem Bulkermarkt berichtet, für den nach ISL/Fairplay-Angaben Anfang Oktober 3.381 Schiffe in den Auftragsbüchern standen (Weltflotte: 7374 Schiffe): Von der Lloyd's List Seatrans-Konferenz in Singapur wurde Keith Denholm (Kuok/Pacific Carriers) Ende November mit der Cancellierung von weltweit 241 Bauaufträgen zitiert. Am Rande des HANSA-Forums am 13. November wollte ein Bulk-Manager konkret von 140 Stornierungen wissen, bei denen die Auftraggeber in Kauf genommen hätten, ihre Anzahlungen (z.B. 20 %) zu verlieren. 

 

Folge eines toten An- und Verkaufsmarktes

 

Mitte Oktober haben das Hamburger Emissionshaus Lloyd Fonds AG und das Bankhaus Sal. Oppenheim die Kursstellung für ihren gemeinsam initiierten offenen Schiffsfonds „LF Open Waters OP“ aussetzen müssen. Zur Begründung nannte Lloyd Fonds „die dramatische Zuspitzung der Situation an den Schifffahrtsmärkten“ als Hintergrund. Es würden in einigen Segmenten derzeit keine Preise beziehungsweise Schätzungen mehr für Schiffe gestellt. Damit sei die Grundlage für eine Bewertung der im Fonds geführten Schiffe zum sogenannten Net Asset Value entfallen. Anmerkung: Im Erstmarkt geschlossener Schiffsfonds werden die (alten) Bau-/Kaufpreise nach wie vor als „günstig“ angegeben und wird dies durch Gutachten belegt, die sich dabei auf die Preise der Vergangenheit stützen … 

j.d.